Etwa 100 km nordöstlich der Metropole Frankfurt am Main liegt Herbstein. Dort teilen sich knapp 5.000 Einwohner eine Fläche von etwa 8.000 ha. Es handelt sich also um eine beschauliche Kleinstadt, eingebettet im Vogelsbergkreis. Eine von zwei Partnerstädten ist übrigens das belgische Ranst, dasalljährlich im Februar so etwas wie eine Pilgerstätte für uns Brieftaubenzüchter ist. Nämlich immer dann, wenn die große belgische Brieftaubenzeitschrift „De Duif“ zur Siegerehrung und „Party“ lädt. Eine Taubenzüchterparty, die Ihresgleichen sucht: Livemusik, Polonäsen, Tanz und Rang& Namen an Prominenz aus der „Taubenwelt“… Aber zurück zum Thema: „Männerkraft und was sie mit den Müllers zu tun hat“:
Je nach Verlauf der Jungtierreise gehen zu Saisonbeginn 35 – 40 Vögel bei den Müllers an den Start. Es werden im Prinzip alle Jungvögel, die ihre erste Saison erfolgreich meistern, in die Mannschaft der Alten und Jährigen übernommen. Eine Selektion nach Reiseleistung erfolgt erst nach der Jährigenreise.
Im Großen und Ganzen sind Tim und Uwe mit den Ergebnissen der Saison 2017 zufrieden. 7 erste Konkurse sprechen für sich. In der RV und auch in den Hessenmeisterschaften gelangen erneut Topplatzierungen. Die 13 besten Vögel der SG fliegen zusammen 131 Preise! Um auch im Regionalverband ganz vorn mitzuspielen, fehlte den beiden in der vergangen Saison das „Quäntchen Glück“ beim Kreuzen. Eine Auflistung der Erfolge 2017 ist am Ende des Artikels zu finden.
Leistungsträger und wie sie „gefunden“ werden
8. Bester Vogel Hessens, der 1078-15-207, ist mütterlicherseits Enkel des Stammvogels 618 „Louis“, der Vater des „207“ ist ein Original Leo Heremans. Ein Onkel mütterlicherseits des „207“ ist wiederum der 1078-15-293, er wird 2017 als direkter Sohn des „Louis“ der 12. Beste Vogel Hessens. Der Zuchtwert des „Louis“ wird durch diese Vögel umso deutlicher, wenn man anmerkt, dass in der „Hessenmeisterschaft“ 5700 Züchter aus 61 RVen konkurrieren.
Der Jährige „102“ ist mit seinen 5 ersten Konkursen in der „Jährigenliste“ der RV besonders herauszuheben. Die Jährigenliste ist eine gesonderte RV-interne Preisliste, in der ausschließlich die jährigen Vögel und Weibchen miteinander konkurrieren. Nach Ansicht von Tim und Uwe „eine klasse Sache mit modernem Charakter.“ Vater des „102“ ist ein Originaler Leo Heremans, Mutter ist die „Helene“, welche ihrerseits bereits 12 Preise flog und laut Tim eine „Spitzenfliegerin par excellence“ ist. Die „Helene“ ist eine Nachzucht aus Raeymaekers aus Belgien.
Die Reisemannschaft stammt zu 100% aus dem Zuchtschlag. Die Witwer werden trocken gespielt und ziehen keine Jungen. Jährlich holen Tim und Uwe auch Tauben anderer erfolgversprechender Züchter und Linien auf ihren Schlag: „Wir versuchen jedes Jahr sehr gute Tauben in unseren Stamm einzukreuzen. Diese werden aber aktuell zuerst in der Jungreise getestet.“ Die Saison der Jungtauben 2017 bestritten die Müllers unter anderem mit Tauben von Albert Derwa (Belgien), Dirk Huizinga (Holland WHZB 2015), Emiel Raeymaekers (Belgien) sowie von Frederik Wolf (Hamburg).
„Es wird sehr hart selektiert und zwar nur nach Spitze“, so beschreibt es Uwe. Vater und Sohn sind sich einig: „Auch eine Taube mit zweistelliger Preisausbeute muss weichen, wenn sie wenig AS-Punkte erringt.“ Die SG verlangt von einer „guten Reisetaube“, dass sie sich in 75 % ihrer Einsätze im ersten Viertel der Preisliste einreiht. Zur Motivationssteigerung achten Tim und Uwe darauf, dass der Schlag weder über- noch unterbesetzt ist. Es sollte eine gewisse „Rivalität“ auf dem Schlag unter den Reisevögeln herrschen. „Mit anderen Tricks sind wir in der Vergangenheit baden gegangen, deshalb unser Motto: „Never change a winning team“.
Gesundheitsmanagement
Die Schlaghygiene ist nach Ansicht vom Tim das A&O. Der Infektionsdruck sollte währen der Saison so gering wie nur möglich gehalten werden. Dennoch erkrankten die Müllervögel nach dem achten Preisflug. Die Krankheit („Jungtierkrankheit“) wurde durch Herrn Warzecha diagnostiziert und in Zusammenarbeit mit ihm behoben.
Pro forma werden die Tiere jährlich Ende Januar bei Dr. Warzecha und während der Saison im Dreiwochenrhythmus in der Geflügelklinik in Gießen untersucht. Medikamente werden ausschließlich in Abstimmung mit dem jeweils behandelnden Tierarzt gegeben. Der „Impfkalender“ der Alttiere sieht im November die Impfung gegen Paramyxovirose vor, im Februar folgt die Paratyphus-Impfung und gegen Pocken wird Anfang März vor den ersten Trainingsflügen geimpft.
„In den Wintermonaten bekommen die Tauben die Natur zu spüren. Hin und wieder geben wir Kräuterhefe und Kräutermix, UsneGano oder Hexenbier. Ins Wasser bekommen sie ständig Avidress“, so berichtet Uwe über die Zeit, in der die Tiere den Schlag nur in die Voliere verlassen können. Durch die Gabe von Avidress bleibt die Keimbelastung in der Tränke quasi bei „0“. So setzt sich jede Taube für sich mit „ihrem eigenen Immunsystem“ auseinander, ohne dass weitere Tiere über das Trinkwasser angesteckt werden können, falls doch einmal eine Keimbelastung im Bestand auftreten sollte. UsneGano vereint die positiven Eigenschaften der Bartflechte sowie Oregano. Es ist sehr wohltuend sowohl für die Verdauung, als auch für die oberen Luftwege – ein herrliches Produkt auf ganz natürlicher Basis. Das Hexenbier könnte in der Tat von eine echten „Kräuterhexe“ gebraut sein: Zwiebeln, Honig, Propolis, Echinacea, Holundersaft, Bartflechte und Knoblauch sorgen für ein tolles Gefieder (besonders in der Mauserzeit zu empfehlen), rosa Brustfleisch und weiße Nasenwarzen.
Tipps und Stellschrauben für starke Ergebnisse
Der Grundstein für sportliche Erfolge ist nach Ansicht der Müllers ein funktionierender Schlag. Eine optimale Be- und Entlüftung des Schlages in Kombination mit viel Licht sind hierbei die Hauptfaktoren, auf die geachtet werden sollte. „Viele Wege können dabei zum Erfolg führen“. Es gebe nach Ansicht von Uwe kein „Rezept für DEN EINEN Idealschlag“, vielmehr sei es die Anpassung an Äußere Bedingungen unter Berücksichtigung der genannten Faktoren „Licht und Luft“. Ein schlagfremder Züchter könnte zu Rate gezogen werden und das Schlagklima beurteilen, denn das beuge einer gewissen „Betriebsblindheit“ für den eigenen Schlag vor.
Versorgt werden die Tauben größtenteils mit Produkten aus dem Hause Röhnfried in Verbindung mit Futter von Mifuma. Eine Kombination, die hervorragend zusammen passt. Bei der Versorgung ist darauf zu achten, dass die Tauben „genau das bekommen, was sie gerade benötigen“, stellt Tim fest. Mit den Röhnfriedprodukten weiß man um die Konzentration auf natürliche Bestandteile und die Zielstrebigkeit auf die Gesundheit der Tiere. „Wichtig ist weniger der Name auf der Verpackung, als vielmehr ein schlüssiges Konzept, was der Züchter auch sinnvoll anwenden kann“ merkt Uwe an.
Im November wird eine Art „Jahresplan“ erstellt, der so streng wie nur möglich verfolgt wird. Ein dazugehöriger Versorgungsplan, der den Kern des Konzeptes darstellt, hängt im Sichtfeld des Schlages, sodass er nicht aus den Augen verloren gehen kann.
Jungtaubenspiel
„Das Jungtaubenspiel betreiben wir im Allgemeinen recht cool, ohne großen Aufwand.“ Ein Plan zur Versorgung und zum Management mit den Jungen wird dennoch erstellt und bestmöglich verfolgt. Wichtig ist, dass die von der RV angebotenen Flüge wahrgenommen werden, um die Jungen so oft wie möglich im Kabi zu schicken. Nur so sammeln sie Erfahrungen auf Wettkampfniveau und bekommen die nötige Routine für die Jährigen- und Alttierflüge.
Im Falle einer ausbrechenden Jungtierkrankheit geht die SG Müller wie folgt vor: Sobald die Jungen anfangen schlechter zu verdauen wird eine Kombination aus Hexenbier X Immunbuster X Jungtierpulver verabreicht. Die Jungen werden über zwei Tage mit einem strengen Diätprogramm versorgt. Ab dem dritten Tag bekommen sie wieder etwas mehr Futter (überwiegend Haferflocken), welches wir mit der Kombi Hexenbier X Immunbuster X Jungtierpulver anreichern. „Auch andere Züchter wenden diesen Plan nach unserer Empfehlung an und fahren gut damit. So bekämpfen wir die JTK ganz ohne Medikamente“, berichtet Uwe mit stolzem Lächeln.
Sind die Tauben gesund, werden sie auch gespielt. Nach Ankunft vom Preisflug erhalten die Jungen zunächst klares Wasser. Nach etwa ein bis zwei Stunden „Beruhigungszeit“ wird gutes Reisefutter gemischt mit ca 10% Hanf gegeben. Uwe hält es für essentiell, dass den Jungen nach Ankunft nicht sofort Futter zur Verfügung steht. Er vergleicht es mit seinem eigenen Gemütszustand nach einem Fußballspiel: „Ich möchte nach dem Spiel auch nicht gleich ein Schnitzel essen, das schlägt mir doch sonst auch auf den Magen.“
Unter der Woche werden die Jungen mit eher leichtem, eiweißarmem Futter versorgt. Um den Eiweißbedarf zu decken, bekommen sie K+K Protein 3000. Zusätzlich gibt es noch 2 bis 3 Mal por Woche Rotosal übers Wasser, was den Stoffwechsel anregt und die Flugfreude beim Training fördert. „Donnerstags kommt noch Blitzform in die Tränke und damit wärs das auch an Zusatzprodukten neben Avidress“, erläutert Tim die Versorgung der Jungen.
Tim und Uwe Müller, eine erfolgreiche Schlaggemeinschaft, die mit verhältnismäßig wenig Tauben großartige Leistungen erringen! Uwe merkt zum Schluss den zum Teil unsportlichen Umgangston der Züchterschaft untereinander an. Er ist der Meinung, dass „sportlich erfolgreiche Züchter den Züchtern mit weniger Erfahrungen unter die Arme greifen sollten“. Es sollte selbstverständlich sein, dass junge und unerfahrene Züchter sich Hilfe und Unterstützung bei „den besseren“ einholen können. Das alles möchte bitte auch ohne „Neid und Hochmut“ von statten gehen können. „Fair Play“ ist eine Tugend, die dem Brieftaubensport an der einen oder anderen Stelle aus den Augen geglitten sein könnte.